Im Gespräch – mit Jannike Stöhr
Auf der Suche nach sich selbst –
30 Jobs in einem Jahr
Was wäre, wenn ich alles hinschmeiße und meinem Gefühl nachgehe?
Das Gefühl, etwas fehle im Leben, etwas ist unstimmig oder da müsste noch mehr sein. Da fehlt doch etwas. Etwas, das einem Zufriedenheit schenkt. Wer kennt dieses Gefühl nicht? Es schleicht oft im Hinterkopf herum und wispert einem ins Gewissen – was wäre, wenn … ich alles anders machte? Ein Wagnis eingehe? Etwas Impulsives tue? Was wäre, wenn ich diesem Gefühl folgte, um zu sehen, wo es mich hinträgt, ohne zu wissen was passiert?
Jannike Stöhr ist diesem Gefühl gefolgt. Einem Gefühl, das immer wieder aufgetaucht ist, über mehrere Jahre. Immer wieder in Gesprächen zutage kam und mit der Zeit nur stärker wurde.
Ihr Leben war gut. In einer renommierten Firma arbeitend musste sich Jannike keine Sorgen machen. Ihr Job war sicher und sie war gut situiert. Trotzdem war immer dieses Gefühl der Unvollkommenheit dabei.
Als ihr Vater an Krebs erkrankte, erkannte Jannike schmerzlich, wie endlich das Leben ist und dass es an der Zeit wäre, auf dieses Gefühl zu hören. Im Gespräch mit einem Freund entstand die Idee, mehrere Jobs durchzuarbeiten, um den Job zu finden, der Zufriedenheit bringen würde. Das einzige Kriterium war, es müsste ein Arbeitsplatz sein, wo Menschen arbeiten, die sich mit ihrem Job verbinden und ihre Arbeit wirklich lieben. „Dieses Kriterium“, sagt sie im Gespräch, „war, wie ich erkannt habe, sehr wichtig für die ganze Erfahrung“.
Jannike startete das Projekt “30 Jobs in einem Jahr”. Sie eröffnete dafür einen Blog, um Menschen an ihren Erfahrungen teilhaben zu lassen. Positiven Zuspruch hat sie anfangs nicht viel bekommen. Der Gedanke einen sicheren, gut bezahlten Job zu verlassen, um sich auf so ein Wagnis einzulassen, ist nicht bei allen auf Verständnis gestoßen. Aber das hat Jannike nicht aufgehalten, ihrem Gefühl zu folgen. Leicht ist es ihr nicht gefallen, und die ersten Schritte in die Ungewissheit waren nicht so einfach. Das ganze Jahr musste sie von ihrem Ersparten leben und die Übernachtungen auf diversen Couchen in verschiedenen Städten forderten viel Flexibilität von ihr. Ein Jahr Couchsurfing, immer woanders und immer eine Woche in einem neuen Beruf.
Die ersten Jobs wurden ihr über Freunde vermittelt, aber schon bald bekam sie Emails von verschiedenen Menschen, welche sie einluden, zu ihnen zu kommen, um ihre Arbeit kennen zu lernen.
Ein Artikel im Spiegel brachte viel Aufmerksamkeit – wenn auch nicht nur positive. Sie erlitt einen ersten Rückschlag, als ein “shitstorm” von negativen Kommentaren zu ihrem Projekt publik wurde. Viele Menschen kritisierten ihre Entscheidung, einen sicheren Beruf zu verlassen, um so ein Projekt anzugehen. Diverse Kommentare zu dem Arikel mussten von dem Magazin gelöscht werden. Dies war ein Schlag für Jannike. Mit so einer Reaktion hatte sie nicht gerechnet. Trotzdem ließ sie sich nicht beirren und folgte weiterhin ihrem Ruf.
Dazu kam gerade mitten in ihrem Projekt noch ein Jobangebot in ihrer alten Branche. Ein Jobangebot, das sie sich unter anderen Umständen sehr gewünscht hätte. Eine Weggabelung hatte sich mit diesem Angebot aufgetan und Jannike stand an einer Kreuzung. „Will ich das?“, dachte sie. Das Vorstellungsgespräch verlief gut und Jannike war noch immer nicht sicher, ob sie ihr Projekt jetzt abbrechen sollte oder nicht. Direkt nach dem Treffen mit dem zukünftigen Arbeitgeber kam der Artikel von Spiegel heraus und damit auch der “shitstorm”.
Sie bekam eine Zusage für die Stelle und 1 Woche später sollte ihr neuer Job beginnen. Jannike stand auf der Gabelung wie Alice im Wunderland und wusste nicht, wohin sie gehen sollte. Hätte sie die Grinse-Katze an ihrer Seite gehabt, hätte diese gesagt: „Wenn du nicht weißt, wo du hin willst, ist jeder Weg der richtige.“
Schon lange vor Beginn des Projektes hatte Jannike einen Urlaub in Irland gebucht, und dieser Zeitpunkt war genau der richtige, um sich kurz etwas Auszeit zu verschaffen, Erlebtes zu verarbeiten und sich wieder zu sammeln.
Nach dem Urlaub sprang Jannike wieder auf ihren Zug der Ungewissheit auf und fuhr weiter in Richtung neuer Jobs, neuer Möglichkeiten und neuer Couchen.
In ihrem Blog beschreibt Jannike ganz genau ihre Erfahrungen, die sie bei den einzelnen Jobs gemacht hat. Mit viel Humor und Herz kann man mit ihr die Reise verfolgen, die sie durch die Arbeitswelt genommen hat und bei der sie auch andere unerwartete Erkenntnisse machte.
Auf die Frage, ob sie am Ende das gefunden hat, wonach sie suchte, antwortet sie ganz klar mit Ja. Aber es ging niemals um den Job, sagt sie. Ihre Erkenntnis war eine andere. Das, was sie gesucht hat, hat sie in den Erlebnissen mit den Menschen gefunden. In den diversen Gesprächen, in der Art, wie Menschen ihr Leben leben. In der Reise selbst. Es ging nie um den Beruf, es ging um das, was gefehlt hat. Es ist auch nicht mehr wichtig, wo sie arbeitet. Den perfekten Job braucht sie nicht mehr. In ihrer Odysee hat Jannike begriffen, dass der Kopf überbewertet ist und die wirklich guten Entscheidungen nicht mit dem Kopf getroffen werden können. Dadurch, dass sie so viel gesehen und gelernt hat, wurde ihr klar, dass Entscheidungen nicht nur gedanklich gemacht werden können und dass vieles, das man sich vorher im Kopf ausmalt, später ganz anders kommt, wenn man es einfach tut.
Auf die Frage, was sie jungen Menschen mit ihrer neu gewonnenen Lebenserfahrung raten würde, sagt sie: „Jeder muss seinen eigenen Weg finden. Sie empfiehlt in sich hinein zu fühlen, wenn Entscheidungen anstehen. Dinge auch einfach auszuprobieren. Vieles ist im Kopf ganz anders als in der Realität. Mann muss sich einfach trauen.“
Jannike Stöhr zeigt uns mit ihrem Projekt, dass alles möglich ist. Dass der perfekte Job nicht immer die Erfüllung bringt. Dass uns doch alle Möglichkeiten offen stehen, wenn wir sie nur ergreifen und es wagen, unseren Herzen zu folgen und auf unser Gefühl zu hören.
In der diesjährigen Tedx Vienna Konferenz hat Jannike als Sprecherin den Zuschauern von Ihrem Projekt erzählt und zum Thema „What if . . . was wäre wenn . . . “ ihre Erlebnisse geteilt.
Über ihre Erfahrungen, ihre verschiedenen Berufe und über ihre Gedanken und Erlebnisse während ihres Projekts hat Jannike ein Buch geschrieben, das im März 2016 im Eichborn-Verlag erscheint.
Der Titel heißt – Das Traumjob Experiment.
Bis das Buch erscheint, ist noch reichlich Zeit, sich dem Blog von Jannike zu widmen und ihr Abenteuer nachzulesen:
30-jobs-in-einem-jahr.de
oder ihr auf Facebook zu folgen: 30.jobs.in.einem.jahr
Wir warten schon gespannt auf die Veröffentlichung und hoffen, dass viele Menschen sich ein Beispiel an Jannike Söhr nehmen und das Wagnis Leben eingehen. Mehr auf ihre Gefühle hören und vielleicht etwas mehr Mut zu Herzensangelegenheiten zeigen. Denn wie sie uns hierbei zeigt, gibt es viel mehr zu gewinnen als zu verlieren, wenn man sich traut, einen Schritt in die Ungewissheit zu tun, wenn einem das Bauchgefühl dies zuflüstert.