Auf der Welle – THE BEACH BOYS in Wien
Der Begriff „Legende“ wird oft überstrapaziert und inflationär gebraucht. Aber im Fall der Beach Boys ist diese Titulierung nicht nur mehr als angebracht, es gehen selbst Musikkennern oft die Superlative aus, um diese Band zu beschreiben. Im 55. Jahr ihres Bestehens geben sie sich noch mal die Ehre in Wien – Ehrfurcht ist angebracht.
Über 80 Chartplatzierungen weltweit, 36 Top-40-Hits alleine in den USA und weit mehr als 100 Millionen verkaufte Tonträger – damit bewegen sich die altersmäßig mittlerweile schon recht fortgeschrittenen Jungs aus Kalifornien punkto Erfolg in einem recht exklusiven Umfeld. Aber die Beach Boys nur an ihren kommerziellen und popkulturellen Meilensteinen festzumachen, würde ihnen kaum zur Ehre gereichen. Denn was die Familienbande rund um Songwriter, Musiker und geniales Mastermind Brian Wilson und seinen Cousin Mike Love als unverkennbare Leadstimme geschaffen hat, wird von Kritikern, Fans und unzähligen anderen Musikern einstimmig als bahnbrechend bezeichnet.
Gegründet 1961 von den Brüdern Brian, Dennis und Carl sowie deren Cousin Mike Love und dem gemeinsamen Schulfreund Al Jardine, entwickelten die Beach Boys aus einem grundlegenden Interesse schon früh ein bemerkenswertes Können im Harmoniegesang. In Kombination mit der aufkeimenden Popularität des Surfsports war schnell ein Name gefunden, und Supertalent Brian Wilson begann einen Lauf an Songwriting rund um das Thema Surfen und den unbeschwerten kalifornischen Lebensstil, der uns ewige Klassiker wie Surfin’ Safari, Surfin’ USA oder Fun, Fun, Fun bescherte. Schon früh brachte sich Brian Wilson in Aufnahmetechnik und Produktion ein und formte mit geradezu besessener Perfektion den typischen Sound der Beach Boys mit einer vor allem für damalige schlechte Radios umwerfenden Wucht, vergleichbar vielleicht nur noch mit Phil Spectors Wall of Sound. Mit dem weiteren Smash Hit I Get Around allerdings war nach drei Jahren intensivster Arbeit, sieben Alben und einer unglaublichen Popularitätswelle der Surf-Schmäh bis auf weiteres mal ausgereizt, und Brian Wilson wandte sich anderen Themen zu. Mädls standen jetzt auf der Interessensliste ganz oben, die Folge: Allzeitklassiker wie California Girls, Help Me Rhonda oder Barbara Ann. In dieser Phase zeigten sich jedoch erste Risse in der Psyche und Physis von Brian Wilson, sein ungeheures Pensum und der selbst auferlegte Erfolgs- und Perfektionsdruck sorgten für Panikattacken, er zog sich aus dem Livebetrieb zurück und verlegte sich immer mehr in Heim und Studio, um weiter manisch an Songs zu arbeiten. Der enorme kreative Output und die zunehmende Perfektionierung von Studio-Techniken schließlich gipfelte in der Produktion des Albums Pet Sounds 1966. Ein Album, das nicht nur Riesenhits wie Wouldn’t It be Nice oder Sloop John B hervorbrachte, sondern auch bis dato ungehörte Produktionsqualität, ungewöhnliche Arrangements und schiere musikalische Genialität bot. Alleine die ziselierte Carl Wilson Nummer God Only Knows zeigt die Beach Boys am Höhepunkt ihrer Schaffenskraft. Man muss sich beim Anhören aller Beach Boys Songs auch immer vor Augen halten, dass Brian Wilson auf dem rechten Ohr fast nichts hört!
Aber mit dem kreativen Zenit zeichnete sich auch ein massiver interner Konflikt in der Band ab. Brian Wilsons zunehmende Abkapselung vom Rest der Band, der Fast-Alleingang, den der zunehmend exzentrische Bandchef mit Drogenexperimenten in seiner dekadenten Studio-Festung mit Pet Sounds durchgezogen hatte, warf viele Fragen auf. Konnten sie die extrem elaborierten Arrangements auch live umsetzen? Speziell Leadsänger und Frontmann Mike Love geriet sich mit Brian immer mehr in die Haare. Mit der Single Good Vibrations schließlich setzten die Beach Boys ihrem Schaffen die Sahnehaube auf. Dann sollte eigentlich mit den Arbeiten an dem Album Smile begonnen werden, doch es trübte sich immer mehr ein. Brian Wilson konnte dem Druck nicht mehr standhalten, immer mehr Drogen verschärften die psychischen Probleme noch mehr und so kam es schließlich zum Abbruch der bis dahin schon sehr aufwändigen Produktion.
Es folgte eine dunkle Zeit in den späten 60ern und frühen 70ern mit psychischen Abgründen, seltsamen Verbindungen zu Leuten wie Maharishi Mahesh Yogi oder Charles Manson, Rechtsstreitigkeiten und natürlich Streit um das liebe Geld. Auch wenn vereinzelt noch Perlen wie I Can Hear Music auftauchten, war nicht nur intern, sondern auch in der öffentlichen Wahrnehmung der einst glänzende Lack ziemlich ab. Mit dem Tod von Dennis Wilson nach seinem Rauswurf und zunehmender Alkoholsucht, der völligen Isolation von Brian Wilson, der massiv unter Einfluss von Medikamenten und einem zwielichtigen Psychiater stand, und dem Ehrgeiz von Mike Love, die Band unter seiner Regentschaft weiterzuführen, versank die Band in den 80er und 90er Jahren zusehends in der Bedeutungslosigkeit. Als 1998 Carl Wilson an Krebs verstarb und Brian endlich aus den Fängen seines Arztes entkommen konnte, konnten sich die Jungs zu einer Reunion durchringen. Bei dieser einmalige Tour und einem Album sollte es aber bleiben, seither bleibt man zwar – wieder freundlich – geschäftlich verbunden, die Live-Show besteht nun aus Mike Love und Langzeit-Beach Boy Bruce Johnston, der seit dem fast völligen Rückzug aus den Live-Auftritten von Brian Wilson seit 1965 mit der Band tourt. Dazu kommen etliche langgediente Tourmusiker. Al Jardine, David Marks und Brian Wilson, die letzten noch verbliebenen Original-Beach Boys, widmen sich aber anderen Projekten und spielen kaum noch live.
Der 12. Juni in der Wiener Stadthalle ist daher die wahrscheinlich allerletzte Gelegenheit, zumindest einen Teil der Legenden nochmals live zu sehen, vor allem unter dem offiziellen Namen. Mit über 70 sind die Herren zwar noch gut bei Stimme, aber das verfluchte Jahr 2016 hat uns allen dramatisch gezeigt, wie rasch nun der grimme Schnitter viele der größten Musiker aller Zeiten zu sich holt. Zugreifen, Tickets kaufen, es ist schon fast ausverkauft! Und dann nochmal das gute Strandhemd anziehen und gemeinsam die Good Vibrations spüren!